Sie sind hier: Startseite Inhalte Der Sandmann

Der Sandmann

ohne Gattungsbezeichnung


Musik und Lyrics von Anna Calvi
Originalpartitur, Arrangements und zusätzliche Musiken von Jherek Bischoff
Textfassung von Janine Ortiz nach E.T.A. Hoffmann

 

 

Inszenierung


Uraufführung: 3. Mai 2017
Festspielhaus (Ruhrfestspiele), Recklinghausen, Bundesrepublik Deutschland

  • Musikalische Leitung: Jherek Bischoff
  • Regie, Bühne, Licht: Robert Wilson
  • Mitarbeit Regie: Ann-Christin Rommen
  • Kostüme: Jaques Reynaud
  • Mitarbeit Kostüme: Alexander Djurkov-Hotter
  • Mitarbeit Bühne: Annick Lavallée-Benny
  • Mitarbeit Licht: Scott Bolman
  • Make-up-Design: Manu Halligan
  • Video: Tomasz Jeziorski

 

Besetzung:  

  • Nathanael, ein Student: Christian Friedel
  • Clara, seine Verlobte: Lou Strenger
  • Lothar, ihr Bruder: Jonas Friedrich Leonhardi
  • Nathanaels Vater: Rainer Philippi
  • Nathanaels Mutter: Rosa Enskat
  • Coppola, Wetterglashändler / Coppelius, Advokat: Andreas Grothgar
  • Spalanzani, Professor der Physik: Konstantin Lindhorst
  • Olimpia, seine Tochter: Yi-An Chen
  • Siegmund, Nathanaels Kommilitone: Alexej Lochmann
  • Sandmann: André Kaczmarczyk

 

 

 

Sandmann 1

Christian Friedel, Rainer Philippi, Alexej Lochmann, Andreas Grothgar,
Konstantin Lindhorst
Schauspielhaus Düsseldorf / Foto: Lucie Jansch

 

 

Premierenchronik

D UA 3. Mai 2017 Festspielhaus (Ruhrfestspiele), Recklinghausen
D EA 20. Mai 2017 Schauspielhaus, Düsseldorf

 

Bemerkung: "Der Sandmann" war eine Produktion des Düsseldorfer Schauspielhauses mit den Ruhrfestspielen Recklinghausen und Unlimited Performing Arts, daher wird die Düsseldorfer Premiere als Erstaufführung aufgeführt.

 

Inhaltsangabe


"Der für seine originäre Ästhetik weltweit gefeierte Regisseur Robert Wilson und die britische Singer-Songwriterin Anna Calvi erwecken E. T. A. Hoffmanns düstere Schauermär 'Der Sandmann' zu neuem Leben. Die 1816 erschienene, psychologisch fein gezeichnete Erzählung nimmt ihren Ausgang von einem frühkindlichen Trauma: Der Vater des kleinen Nathanael, ein heimlicher Alchemist, verunglückt bei einer Explosion. Der Junge glaubt, das tragische Ereignis müsse mit dem Sandmann in Verbindung stehen, von dem die Mutter oft erzählt. Er streut Kindern, die nicht schlafen wollen, Sand in die Augen, bis diese ihnen blutig zum Kopf herausspringen. Eine grausige Gutenachtgeschichte, die Nathanael fortan nicht mehr loslässt. Verzauberte Augengläser, lebendige Puppen und magisches Feuer – Robert Wilsons feinsinnige Lichtkompositionen, präzise Bewegungsabläufe und kühne Bühnenbilder lassen die Grenze zwischen Realität und Wahn verschwimmen. Anna Calvis dramatischer Rock setzt dazu den musikalischen Kontrapunkt."

Homepage des Düsseldorfer Schauspielhauses, 2024.

 

 

 

Sandmann 2

Rosa Enskat, Rainer Philippi
Schauspielhaus Düsseldorf / Foto: Lucie Jansch

 

 

Kritiken

 
"Der Sandmann kommt. In Robert Wilsons Inszenierung zur Eröffnung der diesjährigen Ruhrfestspiele tritt er auf, ein schöner Mann im schmucken Ledermantel, in den Händen zwei durchsichtige Würfel, die er schwenkt wie ein Messdiener seinen Weihrauchkessel. Doch von ihm geht kein Zauber aus, weder wirkt er bedrohlich noch anziehend. Später wird der Sandmann, gespielt von André Kaczmarczyk, einen Stepptanz hinlegen, auch das ist nett und gibt Szenenapplaus.

[...] Das Problem dieser Aufführung liegt nicht einmal darin, dass Wilson Ambivalenzen tilgt und sich für die Fabel kaum interessiert. Das wäre in Ordnung, wenn der Mittsiebziger auf der von ihm selbst gestalteten Bühne eine den Zuschauer fesselnde Magie entfaltete. Das Vorbild ist 'The Black Rider', eine Rockoper mit Musik von Tom Waits, angelehnt an Webers 'Freischütz', die seinerzeit ein beispielloser Erfolg war, in ihrer Art so verwegen, dass kein Mensch fragte, ob das Werk noch etwas mit dem romantischen Vorbild zu tun hatte. Damit wurde Wilson zum gefeierten Popstar des deutschen Theaters.

'Der Sandmann' ist, trotz etlicher Anleihen und Zitate, nicht aus dem gleichen Holz geschnitzt. Leider. Die Musik und die Songs, die die britische Singer-Songwriterin Anna Calvi beigesteuert hat, sind gar nicht mal schlecht, der Vergleich mit dem (unvergleichlichen) Tom Waits ist vielleicht ein bisschen unfair - hin und wieder zünden die Lieder sogar. Aber dem Regisseur Wilson genügt all das nicht. Er will mit Effekten überwältigen, will den Zuschauer in die Knie zwingen, will ihm die Luft abwürgen. Deswegen wird jeder Einfall drei bis fünf Mal bemüht.

Martin Krumbholz: Unheimlich geheimnlos. Robert Wilson eröffnet die Ruhrfestspiele mit seiner Inszenierung "Der Sandmann" nach E.T.A. Hoffmann - einer opulenten Rockoper. Leider völlig ohne Magie. In: Süddeutsche Zeitung, 4. Mai 2017.

 

"27 Jahre nach 'Black Rider' nach dem 'Freischütz', bewegt sich Wilson wieder tief in die dunkelste deutsche Schauer- und Gruselromantik. Der 'Sandmann' ist ein dunkler Spiegel der Befindlichkeiten. Wilson inszeniert ihn so dicht und anspielungsreich – die Ideen gebündelt durch kalte Ästhetik und formale Strenge – wie gewohnt. Zugleich entlastet er die Geschichte, indem er aus ihr eher ein Panoptikum macht als einen Bühnenalbtraum: Der Grusel kommt mit Ankündigung und geht dann auch wieder vorbei.

[...] Wilson hat die Geschichte mit Musik der 37-jährigen britischen Künstlerin Anna Calvi zu einer Horror-Rock-Oper geformt, die am Original bleibt, aber mit Zeitabläufen spielt, sie ausfranst oder zusammenschnurren lässt.

Calvis Songs und Zwischenspiele sind anspielungsreich komponiert, bedienen sich bei der Zirkus-Ästhetik oder einem Jahrmarktwalzer, tippen mal den Grunge an und machen Anleihen beim 70er-Jahre-Unterground. Im Grunde aber – wenn man an den kunstvoll in die Dissonanz rutschenden Geigen und der puppenhaften Celesta vorbeihört – sind es geradeheraus komponierte Musicalsongs.

[...] Wilson lässt derweil die Rädchen des Theaterbetriebs offen schnurren. Der 'Sandmann' ist metakluges Theater für Kenner; Zauber für längst Entzauberte. Wir wissen ja alle, wie es geht, wenn Nathanael Seiten umblättert, ohne das Buch zu berühren. Es ist so, als stünde man auf einem Nostalgie-Jahrmarkt und schaue in eine 'Laterna Magica'. Die Bilder sind umwerfend, aber man hat die Sicherheit, dass man hinterher ruhig wieder nach Hause geht."

Edda Breski: Robert Wilson inszeniert das Schauerstück „Der Sandmann“. In: Westfälischer Anzeiger, 4. Mai 2017.

 

"Diesen Figuren möchte man nicht in seinen schlimmsten Alpträumen begegnen. Weißgeschminkt mit schwarz umrandeten Augen, die Haare stehen ihnen zu Berge, die Gesichter fratzenhaft und in stummen Schreien erstarrt.

Der US-Starregisseur Robert Wilson ist wieder am Werk gewesen. Der 75-jährige Meister der Verfremdung hat sich diesmal das Schauermärchen 'Der Sandmann' von E.T.A. Hoffmann vorgenommen. Aus der schwarzromantischen Erzählung machte Wilson ein ohrenbetäubendes Rockspektakel mit mächtigen Bildern und der wuchtigen Livemusik der britischen Singer-Songwriterin Anna Calvi. Die Premiere - eine Koproduktion mit dem Düsseldorfer Schauspielhaus - wurde am Mittwochabend zum Auftakt der Ruhrfestspiele in Recklinghausen vom Publikum mit minutenlangem Applaus gefeiert.

[...] 'Schöne Augen' machen, blind vor Liebe sein, die Augentäuschung - das Leitmotiv der düsteren Erzählung wird durch Wilsons kunstvolle Bildsprache und tausend Augen auf der Bühne potenziert. Selbst der Vollmond ist ein Augapfel. Wilson liebt das Marionettentheater, den Stummfilm und das maskenhafte japanische No-Theater. Die Anleihen bei seiner grotesk-gruseligen und doch humorvollen Version des 'Sandmanns' sind offensichtlich. 'Ich hasse Naturalismus', sagte der texanische Bildermagier im Vorfeld der Premiere. Seine Figuren tanzen, trippeln wie Puppen und Balletttänzer. Sie bewegen sich zeitlupenlangsam, dann wieder zuckend wie vom Teufel befallen. Sätze und Gesten werden automatenhaft unablässig wiederholt.

[...] Die aufwendige Musical-Inszenierung verlangt dem Ensemble des Düsseldorfer Schauspielhauses - dort ist die Produktion ab 20. Mai zu sehen - alle Kräfte ab."

[dpa - ohne Namensnennung]: Langer Applaus für den "Sandmann" in Recklinghausen. Auftakt der Ruhrfestspiele. In: Zeit, 4. Mai 2017.

 

 Sandmann 3

Andreas Grothgar
Schauspielhaus Düsseldorf / Foto: Lucie Jansch

 

 

Medien / Publikationen

 

Literatur

  • E.T.A. Hoffmann: Der Sandmann. Schauerroman. Reclam, Ausgabe 1986.

 

 

 

 

Empfohlene Zitierweise

 
"Der Sandmann". In: Musicallexikon. Populäres Musiktheater im deutschsprachigen Raum 1945 bis heute. Herausgegeben von Wolfgang Jansen und Klaus Baberg in Verbindung mit dem Zentrum für Populäre Kultur und Musik der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. www.musicallexikon.eu

Letzte inhaltliche Änderung: 12. September 2024.