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Lasst uns die Welt vergessen - Volksoper 1938

Ein Stück mit Musik


Musik von Keren Kagarlitsky
Verwendete Musik von Arnold Schönberg, Viktor Ullmann, Gustav Mahler
unter Verwendung der Operette "Gruß und Kuss aus der Wachau"
Musik von Jara Beneš und Texten von Hugo Wiener, Kurt Breuer, Fritz Löhner Beda
Libretto von Theu Boermans
 

 

Inszenierung

Uraufführung: 14. Dezember 2023
Volksoper, Wien, Österreich

  • Musikalische Leitung: Keren Kagarlitsky
  • Regie, Text & Libretto: Theu Boermans
  • Historische Beratung: Marie-Theres Arnbom
  • Bühnenbild: Bernhard Hammer
  • Kostüme: Jorine van Beek
  • Choreographie: Florian Hurler
  • Licht: Alex Brok
  • Video: Arjen Klerkx
  • Sounddesign: Martin Lukesch

 

Besetzung:  

  • Alexander Kowalewski, Intendant: Marco Di Sapia
  • Ossip Rosental, Souffleur: Andreas Patton
  • Hugo Wiener, Autor: Florian Carove
  • Fritz Löhner-Beda, Librettist: Carsten Süss
  • Kurt Herbert Adler, Dirigent: Lukas Watzl
  • Kurt Hesky, Regisseur: Jakob Semotan
  • Leo Asch, Bühne und Kostüme: Szymon Komasa
  • Bühnenmeister: Gerhard Ernst
  • Hulda Gerin / Miss Violet: Johanna Arrouas
  • Viktor Flemming / Graf Uli von Kürenberg: Ben Connor
  • Fritz Imhoff / Püringer: Karl-Michael Ebner
  • Trudl Möllnitz / Franzi:  Alexandra Flood
  • Olga Zelenka / Resi: Sofia Vinnik
  • Kathy Treumann / Anni: Rebecca Nelsen
  • Walter Schödel / Werkmeister: Nicolaus Hagg
  • Frida Hechy / Witwe Aloisia Bründl: Ulrike Steinsky
  • Emil Kraus / Otto Binder: Sebastian Reinthaller
  • Franz Hammer / Pepi Marisch, Briefträger: Johannes Deckenbach
  • Kurt Breuel / Graf Ulrich von Kürenberg: Kurt Schreibmayer
  • Johanna Kreuzberger / Amalasvintha von Kürenberg / Mutter Wiener: Regula Rosin
  • Horst Jodl: Roberta Bartneck
  • Fritz Köchl: Axel Herrig
  • Ensemble: Anja Štruc / Jennifer Pöll / Marina Petkov / Anetta Szabo / Rebecca Soumagné / Victoria Demuth / Kilian Berger / James Park / Benedikt Berner / Michael Konicek / Benjamin Oeser / Oliver Floris

 

 

Volksoper 1938 1

Ensemble - © Barbara Pálffy/Volksoper Wien

 

 

Premierenchronik

A UA 14. Dezember 2023 Volksoper, Wien

 

 

 

Inhaltsangabe


"Operette war immer auch Eskapismus, Flucht aus dem Alltag in eine andere Welt, eine Traumwelt. Was jedoch, wenn sich dieser Alltag nicht mehr ignorieren lässt? Was, wenn die Vorgänge in der Welt so furchtbar sind, dass man sie nicht mehr vergessen kann? Wenn die Welt draußen in die heile Operettenwelt drinnen bricht? Was passiert mit den musikalischen Fantasien?

In den ersten Monaten des Jahres 1938 dringt das aktuelle politische Leben in die Volksoper ein, und zwar während der Proben zu der Operette 'Gruß und Kuss aus der Wachau'. Was machen Intoleranz, Diskriminierung und Faschismus mit den Mitarbeiter:innen der Volksoper?

Politische Diskussionen und Anschuldigungen untergraben die Zusammenarbeit. Im Laufe der Proben bringt die Machtübernahme der Nationalsozialisten für die Volksoper gravierende Veränderungen mit sich: Entlassungen auf allen Ebenen des Hauses folgen, von Opernsängerinnen und -sängern über Dirigenten, Orchestermusiker und Librettisten. Menschen, die aufgrund ihrer jüdischen Wurzeln oder ihrer politischen Einstellung verfolgt werden. Ein fesselnder Blick in den Spiegel der Vergangenheit kann auch eine Konfrontation mit einer schmerzhaften Periode in der Geschichte der Volksoper bedeuten. Dem wollen wir nicht aus dem Weg gehen."

(Presseinformation der Volksoper Wien, 2023)

 

 

Volksoper 1938 2

Ben Connor (Viktor Flemming), Johanna Arrouas (Hulda Gerin)
© Barbara Pálffy/Volksoper Wien 

 

Kritiken

 
"Die israelische Keren Kagarlitsky setzte als Komponistin und Dirigentin musikalische Kontraste, indem sie für die Neuproduktion „Lass uns die Welt vergessen“ die teils jazzigen Melodien von Jara Benes mit eigener Musik und mit Werken von Schönberg und Mahler kombinierte. Filmaufnahmen von Hitlers Einmarsch in Wien und von Konzentrationslagern verstärkten zusätzlich die Spannung zwischen leichter Operetten-Kost und dem Horror der NS-Zeit.

Das Publikum ließ sich von Kagarlitskys Leistung und von Boermans‘ Erzählung berühren. Viel Applaus gab es für das heutige Ensemble, welches das künstlerische Volksopern-Team des Jahres 1938 noch einmal zum Leben erweckte. Im Saal waren auch einige Nachfahren von vertriebenen Volksoper-Künstlern, unter anderem von Dirigent Kurt Herbert Adler, der in 'Lass uns die Welt vergessen' eine wichtige Rolle spielt. Sein Sohn, der deutsche Opernmanager Robert Adler, zeigte sich nach dem Schlussapplaus sichtlich bewegt über die Produktion. 'Es ist großartig gemacht – und erschütternd'!"

[ohne Autorennennung]: Volksoper arbeitet eigene NS-Vergangenheit in Operette auf. In: Deutschlandfunk, 16. Dezember 2023.

 

"Das Libretto von 'Gruß und Kuss in der Wachau' ist jedoch nur in einer nachträglich stark bereinigten Form erhalten. Vorgeführt werden nun in der Rekonstruktion der Volksoper 2023 die Proben, meist schnelle Durchläufe.  Auseinandersetzungen unter den Künstlers während der Proben hat Regisseur – und insofern auch Librettist der Backstage-Aufführung – Theu Bormans in Zusammenarbeit mit der Historikerin Marie Theres Arnbom pointiert vorgeführt. Zwischen den Szenen mit den Proben werden in kurzen Schlaglichtern auch die familiären Situationen des Ensembles, die dann auf einem Draht-Karussell sitzen,  beleuchtet (Bühne Bernhard Hammer). In Videoeinspielungen erscheint der historische Rahmen immer wieder als Hintergrund: der österreichische Kanzler Schuschnigg, Hitlers Einmarsch in Österreich, seine Rede am Heldenplatz, aber auch Ausgehungerte KZ-Häftlinge hinter Gittern.

Was jedoch besonders berührt, ist die Komposition der aus Israel stammenden Dirigentin Keren Kargalitsky. Sie musste, da es von Benes nur einen Pariturauszug gab, selbst instrumentieren und fügte dabei einige neue, wohl jazzigere Farben hinzu, vor allem aber kontrastierte sie die Revueoperettenschlager immer wieder mit Musik von Arnold Schönberg, Gustav Mahler und im KZ komponierten Kompositionen von Viktor Ullmann.     

[...] Ein niederländischer Regisseur, ein internationales großes Ensemble relativieren die Austriazismen. Alle vom Bühnenarbeiter bis zum Intendanten scheinen in dieser Inszenierung gleichgestellt, auch die Stars, die wie Hulda Gerlin, später als Hilde Güden bekannt (Johanna Arrouas), fliehen mussten oder wie Viktor Flemming (Ben Connor) im KZ umkamen. Als Bühnenmeister gibt Gerhard Ernst nach der Pause seine zynischen Kommentare zur Funktion des zweiten, an die Außenbezirke gelagerten Opernhauses.

'Lasst uns die Welt vergessen' gibt vor allem den Sängerinnen und Sängern,  die nicht mehr da sind, den Vertriebenen, den Toten, eine Bühne und eine Stimme. Besonders berührend, wenn in einem Liebesduett der Gesang der arischen Zweitbesetzung plötzlich vom ursprünglichen Sänger, der auf der Hinterbühne auf dem Weg ins KZ gezeigt wird, übernommen und weitergeführt wird, und das Urlaubsschiff auf der Wachau ein Schiff in den Tod wird."

Bernhard Doppler: Lasst uns die Welt vergessen – Volksoper 1938. In: BR-Klassik - Sendung "Leporello", 15. Dezember 2023, [https://www.br-klassik.de/aktuell/news-kritik/volksoper-1938-lasst-uns-die-welt-vergessen-urauffuehrung-wien-boermans-kargalitsky-100.html], aufgerufen 11. Februar 2024.

 

"Boermans lässt Stilebenen auf­einanderprallen, wodurch die Kon­traste zwischen Idylle und Realität dramaturgisch Wirkung entfalten. Ansätze von Heiterkeit werden provoziert, um effektvoll-abrupt unterbunden zu werden. Zum einen mündet die konfliktbeladene Proben­situation in fidele Operettenszenen, bis die Kitschwelt durch den Besuch etwa eines von den Nazis bestellten neuen Intendanten brutal unterbrochen wird. Eine weitere Stilebene – wohl die eindringlichste – zeigt auf einem Podest eine Art Collage privater Szenen aller zentral Beteiligten.

[...] Zur atmosphärischen Verdichtung trägt die Musikbearbeitung bei. Dirigentin Keren Kagarlitsky hat die seligen Operettenklänge, die nur als Klavierauszug existierten, orchestriert. Dazu implantierte sie eigene Ideen und Bekanntes aus der Historie. [...]  Mit dem Volksopernorchester wird jedweder Stil profund umgesetzt; auch am Schluss, wenn die Heiterkeit gruselig wird: Fritz Köchl, der neue Nazi-Intendant (Alex Herrig), begrüßt den 'Volkskanzler' Arthur Seyß-Inquart zu einem 'heiteren deutschen Theaterabend', während in Bogotá Hugo Wiener (Florian Carove) 'Im Prater blüh’n wieder die Bäume' anstimmt. Es gab Standing Ovations."

Ljubiša Tošić: Düstere Vergangenheit. Volksoper arbeitet in "Lass uns die Welt vergessen" eigene NS-Geschichte auf. In: Der Standard, 15. Dezember 2024.

 

Volksoper 1938 3

Steinsky (Frida Hechy), Sebastian Reinthaller (Emil Kraus), Julia Koci (Kathy Treumann),
Carsten Süss (Fritz Löhner-Beda), Axel Herrig (Fritz Köchl), Nicolaus Hagg (Walter Schödel),
Andreas Patton (Ossip Rosental), Ensemble - © Barbara Pálffy/Volksoper Wien



Medien / Publikationen

 

Literatur

  • Marie-Theres Arnbom: Ihre Dienste werden nicht mehr benötigt. Aus der Volksoper vertrieben – Künstlerschicksale 1938. Amalthea Verlag, Wien, 2023.
  • Hans Daiber: Schaufenster der Diktatur. Theater im Machtbereich Hitlers. Neske, Stuttgart 1995.

 

 

Kommentar

 
Die Angaben zur Besetzung wurden den umfangreichen Angaben der Volksoper Wien entnommen.

Der österreichische Spielfilm "Gruß und Kuss aus der Wachau" (1950) basiert auf dem gleichnamigen Singspiel von Jára Benes, Hugo Wiener und Kurt Breuer und Beteiligung der Musik von Willy Schmidt-Gentner.

 

 

Empfohlene Zitierweise

 
"Lasst uns die Welt vergessen - Volksoper 1938". In: Musicallexikon. Populäres Musiktheater im deutschsprachigen Raum 1945 bis heute. Herausgegeben von Wolfgang Jansen und Klaus Baberg in Verbindung mit dem Zentrum für Populäre Kultur und Musik der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. www.musicallexikon.eu

Letzte inhaltliche Änderung: 11. Februar 2024.