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Verbrechen - Tanatas Teeschale

Musical


Musik von Wolfgang Böhmer
Text und Rap Lyrics von Kamil "Demian"
Text und Songtexte von Fabian Gerhardt  
Frei nach der Erzählung von Ferdinand von Schirach

 

 

Inszenierung


Uraufführung: 13. Februar 2025
Neuköllner Oper, Berlin, Bundesrepublik Deutschland

  • Musikalische Leitung: Markus Syperek
  • Regie: Fabian Gerhardt
  • Bühnenbild: Michael Graessner
  • Kostüme: Sophie Peters
  • Choreografie: Alessandra La Bella

 

Besetzung:  

  • Özcan: Azaria Dowuona-Hammond
  • Samir: Salar Jafari
  • Linda: Linda Belinda Podszus
  • Manólis: Nicolas Sidiropulos
  • Wagner / Nowak: Oliver Urbanski
  • Pocol / Tanata: Armin Wahedi

 

 

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V.l.n.r.: Nicolas Sidiropulos (als Manólis), Azaria Dowuona-Hammond (als Özcan), Salar Jafari (als Samir)

(c) Neuköllner Oper / Foto: Thomas Koy

 

 

Premierenchronik

D UA 13. Februar 2025 Neuköllner Oper, Berlin

 

 

Inhaltsangabe


"Drei Jungs aus Neukölln jagen dem Glück hinterher - da ist der Tipp über einen Safe voller Geld in der Dahlemer Villa ein echter Sechser im Einbruchslotto. Und so setzt sich eine Spirale unvorhersehbarer Ereignisse in Gang, in der nicht nur das Freundestrio heftig herumgewirbelt wird, ein paar selbsternannte Unterweltgrößen viel Zeit im Fegefeuer verbringen und einige der großen Fragen über Gewalt, Moral und Gesetz auf ihre Beantwortung warten. Die Autoren [entwickeln] mit ´Verbrechen´ ein neues Musical über eine Gesellschaft, in der es durchaus seine Vorteile haben kann, ein kleiner Fisch zu sein."

(aus: Handzettel zur Vorstellung in der Neuköllner Oper)

 

 

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V.l.n.r.: Armin Wahedi (als Pocol), Salar Jafari (als Samir), Linda Belinda Podszus (als Linda), Azaria Dowuona-Hammond (als Özcan), Oliver Urbanski (als Wagner)

(c) Neuköllner Oper / Foto: Thomas Koy

 

 

Kritiken

 
"Kleinkriminelle mit Versagensängsten, das ist ein Sujet, bei dem die Tonalität stark in Richtung Komödie zeigt. Und so startet das Musical ´Verbrechen - Tanatas Teeschale´ in der Neuköllner Oper mit flackernden Taschenlampen, die durch einen dunklern Saal tasten. Drei notdürftig vermummte Gestalten irren herum. [...]

Die neue Produktion ist musikalisch und ästhetisch sichtlich von der schön-schrecklichen Ästhetik der hässlichen achtziger Jahre durchweht. Die fünfköpfige Band kombiniert Saxofonklänge mit Elektrosounds und Böhmer plündert alles, was der Pop-Zitatekasten hergibt. Rock, Reggae, Schlager, Latin und nicht zu vergessen Hip-Hop. Neuköllner Jungs, die Gangster spielen, da darf kein Rapper fehlen. Azaria Dowuona-Hammond arbeitet sich in der Rolle des Öczan wacker durch die Lyrics von Kamil ´Demina´. 

Eine zündende musikalische Idee lässt ´Verbrechen - Tanatas Teeschale´ aber vermissen. Auch die Charakterisierung der Figuren durch ihre Songs wirkt nur bei Öczean und dem Zuhälter Pocol schlüssig. [...] 

´Ach die großen Fische / wurden bald gefangen / als die kleinen Fische / durch die Netze schwammen´, so lautet die im chorischen Brecht-Stil vorgetragene Message des Musicals, das in schönster Grips-Theater-Manier die Läuterung jugendlicher Amateurgangster mit Migrationshintergrund vorführt. [...]

Aber auch, wenn es der Neuköllner Oper immer ein Anliegen ist, Vorurteile über die örtlichen Deklassierten in humoristischer Form abzubauen, fragt man sich am Ende des Abends, ob es nötig ist, die abgenudelte Walla-Rapper-Gangster-Masche zu bemühen. Klar, Stereotype ausstellen ist lustig, Komödien leben davon. Und doch reproduziert die Regie von Fabian Gerhardt sie mehr statt sie zu dekouvrieren."

Gunda Bartels: Deppen im Fegefeuer, das Musical "Verbrechen - Tanatas Teeschale". In: Tagesspiegel, 15. Februar 2025.

 

"Von Schirachs Erzählung aus der Sammlung ´Verbrechen´ wurde zum zweiaktigen Musical der unamerikanischen Art. Außerdem wurde es eine Hymne auf den aufgrund seines kriminellen Potenzials zunehmend angefochtenen Theaterstandort. Das Stück enthält auch eine Prise Sophistication, welche sich das ins Champagneralter kommende Haus natürlich leisten darf. Zugleich gerät ´Verbrechen - Tanatas Teeschale´ zum originären Kulturprodukt, wie es in der Kombi von Authentizität mit pädagogischem Lehreffekt nur an der Neuköllner Oper möglich ist. Es war eine Frage der Zeit, dass nach Sujets wie ´Berliner Leben´ über die Finanzeskalation der Immobilienbranche und Lund/Böhmers ´Drachenherz´, die in die Jugendszene einer ostdeutschen Gemeinde versetzte Nibelungensage, als nächstes Soziobiotope vor der eigenen Haustür poetisch transformiert wurden. Und zwar echt ´Harry-Jackpotter´-mäßig. [...] 

Von Schirachs Plot-Pastete in Neuköllner Dramaturgie-Kruste ist zwangsläufig eine Variante des Robin-Hood-Syndroms. Angegangen und ausgenommen werden nur die Reichen - logo. Es geht nicht um Luxusferien in der Karibik, sondern nur um den unbeschwerten Einkauf im Discounter zum Sattwerden der kleinen Wunschfamilie. Im Gegenzug geraten die Figuren der Ganoven-Mittelschicht (Oliver Urbanski und Armin Wahedi mit nackten Beinen und bebrillten Augen) besonders schmierig - durch Attitüden von Zocker-Existentialismus und Knabensouvenirs aus der kirchlichen Schmuddelecke. [...]

Nur weil das Wort ´Musical´ die trefflichere Werbemarke abgibt, lautet der Untertitel dieser Uraufführung nicht Songspiel. Wolfgang Böhmers eindrucksvoll handlungsbezogene Musik zieht sich auch durch viele Dialoge. Sie tapeziert das Kiezstück mit Sounds von Sondheim-naher Dichter und Dringlichkeit. Markus Syperek kultiviert mit der perfekt spröden Bandformation dieses Kantig-Aphoristische, dem man am Premierenabend ein bisschen das Präzisionsstreben um Synkopen-Korrektheit und verfeinerte Rap-Prosodie anmerkt. Momentan fühlt sich das noch so tipptopp an wie Neukölln nach perfekter Straßenreinigung. Dabei rebellieren die Texte von ´Demian´ und Gerhardt ständig gegen Reimsymmetrien und fordern zum Verschleifen heraus. Das einzige, was dieser perfekt geprobten Produktion also noch fehlt, ist der dreckige Boden mit Präservativen, Pizzakartons und Plastikperlen. Kommt noch - mit jeder Vorstellung etwas mehr!"

Roland H. Dippel: Zwischen Zartheit und Sehnsüchten, Wolfgang Böhmer, Kamil "Demian", Fabian Gerhardt: Verbrechen - Tanatas Teeschale. In: Die Deutsche Bühne (online), 14. Februar 2025.

 

"Die Inszenierung übersetzt Schirachs nüchternen Erzählstil in eine atmosphärisch dichte, musikalisch vielseitige Darstellung der Berliner Unterwelt - zwischen Krimi, Komödie und Moritat. Damit setzt das Kreativteam [...] die Produktion in jenem Bezirk um, der zugleich Haupthandlungsort und Heimat der Protagonisten ist. [...]

Regisseur Fabian Gerhardt entfaltet die Handlung langsam, sodass sich der Plot erst allmählich erschließt. Bis dahin haben die Protagonisten in düsterer Lederkluft wie auch ihre Gegenspieler in expressiver Playboy-Kleidung (Kostüme: Sophie Peters) einiges an Wegstrecke auf der ganz in Samtrot gehaltenen Bühne von Michael Graessner zurückzulegen, die mal Novelvilla, dann Casino oder auch das Fegefeuer assoziiert. Die Inszenierung setzt auf rasante Szenenwechsel und surreale Brüche, die das Chaos der Figuren spiegeln. Straßenjargon trifft auf pseudo-philosophische Reflexionen, während Böhmers eklektische Partitur von Jazz und Rap bis zu Schlager und Rock reicht. Besonders eindrucksvoll: der Song ´Gewalt ist Ordnung´, in dem Pocol sich als Hobbes´scher Leviathan inszeniert, während Wagner sich mit Schlagermelodien in vermeintlich goldene Zeiten zurückträumt.

Dass dieses Konzept aufgeht, liegt allen voran auch am spielfreudigen, bestens aufgelegten Ensemble. [...]

Der Neuköllner Oper gelingt mit ´Verbrechen - Tanatas Teeschale´ eine fesselnde Milieustudie, die zwischen Krimi, Komödie und Gangsterballade osziliert. Nach knapp zwei Stunden Spielzeit zeigte sich das Premierenpublikum begeistert - ein düster-unterhaltsames Musical zwischen Realität, Surrealismus und Groteske."

Philip M. Pankow: Verbrechen - Tanatas Teeschale, Großstadtdämmerung. In: Musical Today (online), 19. Februar 2025.

 

 

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Armin Wahedi (als Pocol)

(c) Neuköllner Oper / Foto: Thomas Koy

 

 

Medien / Publikationen


Literatur

  • Ferdinand von Schirach: Tanatas Teeschale. In: Ders.: Verbrechen. Stories. München: btb 2020, Seite 21-42.

 

 

 

Empfohlene Zitierweise

 
"Verbrechen - Tanatas Teeschale". In: Musicallexikon. Populäres Musiktheater im deutschsprachigen Raum 1945 bis heute. Herausgegeben von Wolfgang Jansen und Klaus Baberg in Verbindung mit dem Zentrum für Populäre Kultur und Musik der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. www.musicallexikon.eu

Letzte inhaltliche Änderung: 21. Februar 2025.