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Das Wirtshaus im Spessart (Süßmilch)

Eine Angstexpertise von Wilhelm Hauff


Musik und Text von Alain Croubalian & Rainer Süßmilch
nach Wilhelm Hauff

 

 

Inszenierung


Uraufführung: 7. September 2013
Schauspiel Hannover, Bundesrepublik Deutschland

  • Musikalische Leitung: Alain Croubalian
  • Regie: Lars-Ole Walburg
  • Bühnenbild: Robert Schweer
  • Kostüme: Nina Gundlach

 

Besetzung:  

  • Dead Brother: Alain Croubalian
  • Handwerksbursche 1 / Peter Munk, Kohlenpeter / u.a.: Daniel Nerlich
  • Handwerksbursche 2 / Wilm Falke / u..: Sandro Tajouri
  • Wirtshauswirtin / u.a.: Beatrice Frey
  • Wirtshausmagd / Jakob, Zwerg Nase / u.a.: Katja Gaudard
  • Kaspar Strumpf / Ezechiel: Christoph Müller
  • Holländermichel / u.a.: Janko Kahle

 

 

 

Premierenchronik

D UA 7. September 2013 Schauspiel, Hannover

 

 

 

Inhaltsangabe


"Spät nachts ziehen zwei Wanderer auf unsicheren Wegen durch den dunkelsten aller deutschen Wälder. Nur ein riesiger Mond beleuchtet die leere Bühne des hannoverschen Schauspielhauses, auf der sich die beiden Gesellen bibbernd vor Angst ihren Weg durch den Spessart bahnen. Ein diabolischer Musiker begleitet sie, sorgt für Geräusche im Geäst und für Nebelschwaden, mit einer handlichen Rauchmaschine. Schon vor dem Vorhang hat er '… it’s a dark night' gesungen, und damit hat er Recht.

Als wie aus dem Nichts ein Wirtshaus aus dem Dunkel auftaucht sind die Wanderer entsetzt. Denn das, was sich da über die gesamte Bühnenbreite mit viel Ächzen und Knarren nach vorne schiebt, ist mitnichten eine sichere Herberge. Ein Skelett aus Deutschem Fachwerk, Balken ohne Füllungen. An jeder Wand hängen Mordwerkzeuge. Die Angst vor Räubern lindern auch die seltsamen Wirtsleute nicht gerade. Die verschlagene Wirtsfrau lässt die Katze schlachten und den Ahnungslosen als Reh-Ragout servieren.

Um wach zu bleiben, beschließen all jene, die hier Schutz suchen, sich Geschichten zu erzählen, und schnell zeigt sich: Die Gefahr droht nicht von außen. Der schlimmste Räuber steckt in den Menschen selbst. Von Habgier und Verführbarkeit handeln die düsteren Märchen, die immer mehr von den Anwesenden Besitz ergreifen. Regisseur Lars-Ole Walburg lässt Wilhelm Hauffs romantische Fabeln nicht einfach nur erzählen, sondern verwandelt das Wirtshaus-Skelett immer wieder in stürmische Küsten und undurchdringliche Wälder, eine riesige Eiche wächst plötzlich aus dem Boden.

Und die Märchenerzähler werden zunehmend eins mit ihren Protagonisten, dem gruseligen alten Weib, dem armen, vereinsamten Zwerg und dem höllischen Michel. Immer mehr wird aus der Wirtschaft ein Angst-Seelenhaus, immer seltener finden die Protagonisten den Weg zurück in die Realität. Walburg zeigt, was passiert, wenn die Angst übermächtig wird, Besitz ergreift und ihre Träger zerstört."

Alexander Kohlmann: Im Angst-Seelenhaus. Zum Saison-Auftakt inszeniert Lars Ole-Walburg am Schauspiel Hannover „Das Wirtshaus im Spessart“ – als düstere Reise ins Unterbewusste statt als Schwank im Stil des Films mit Liselotte Pulver. In: taz, die tageszeitung, 10. September 2013 [unter Auslassung der Personennennung].

 

 

 

Kritiken

 
"Falsch liegt, wer beim 'Wirtshaus im Spessart' an einen harmlosen Schwank à la Lilo Pulver denkt. Walburg übernimmt lediglich die Hauff’sche Grundkonstellation, Verwandlungskomödie und Geschlechtertausch lässt er vollkommen weg. Auch der 'Blick in die deutsche Seele', den die Vorankündigung vollmundig verspricht, bleibt uneingelöst. Es ist zwar richtig, dass diese Märchen deutsche Erzählungen sind, aber auch in anderen Ländern gibt es düstere Gleichnisse, mit denen die Menschen lange vor Freud und der modernen Psychologie ihre Furcht zu kanalisieren wussten. Ob dieses Grübeln und die Lust an der Selbstkasteiung spezifisch deutsche Probleme sind, bleibt bei diesem unheimlichen Saison-Auftakt ungeklärt."

Alexander Kohlmann: Im Angst-Seelenhaus. Zum Saison-Auftakt inszeniert Lars Ole-Walburg am Schauspiel Hannover „Das Wirtshaus im Spessart“ – als düstere Reise ins Unterbewusste statt als Schwank im Stil des Films mit Liselotte Pulver. In: taz, die tageszeitung, 10. September 2013.

 

"Lust am körperlich totalen Theater und am Grusel und doch im ureigensten Sinn ein Musical begleitet der Dead Brother, alias Alain Croubalian, Kopf der Genfer Rock'n'Roll-, Folk- und Bluesband 'Dead Brothers', mit seinem Banjo und seinen Songs das Geschehen, kommentiert und zaubert Geräusche. Er  hat die Musik zusammen mit Rainer Süßmilch geschrieben, der als Mann am Harmonium auch mal zum Horn greift und als 'Tanzbodenkönig' in der Luft schwebend in Slow Motion tanzt - und düster wechselt der Vollmond von rechts nach links.

Doch im zweiten Teil ist die Faszination des ersten Teils verpufft, der vorher begangene Weg - dass allein die Magie der Darstellung zählt - wird verlassen. Man holt einen riesigen Pappmaschee-Baum zu Hilfe, zeitweise rutscht der Abend weg, es wirkt illustriert, was vorher der Phantasie überlassen war. So bekommt das Ganze leider etwas von Märchentheater, aus dem Peter Munk (Daniel Nerlich) jedoch mit dem 'kalten Herz' wieder heraustritt. Das Wirtshaus rollt in die Bühnentiefe, und auf leerer Bühne und mit Mikropräsenz eines Showstars führt er uns vor, wohin den Kohlenpeter sein 'Herz aus Stein' geführt hat - in unsere Zeit?

Mit der 'fantastischen' Musik von Alain Croubalian, in Konzeption und Regie des Hausherrn und mit einem außergewöhnlichen Ensemble wird es zum Theaterabend der eigenen Art und man zeigt am Staatsschauspiel Hannover, was Musical auch sein kann."

Hartmut H. Forche: Zwischen totalem Theater und Musical. Uraufführung "Das Wirtshaus im Spessart" am Staatsschauspiel Hannover. In: blickpunkt musical, Ausgabe 67, Nr. 6/2013, November 2013 - Januar 2014, Seite 24-25.

 

"Ausschließlich um Habgier und die Sünde, nicht zufrieden zu sein mit dem, was man ist, geht es in diesen Geschichten, die zunehmend mehr Besitz von den Schutzsuchenden ergreifen. Walburg lässt seine Schauspieler nicht nur erzählen, sondern das Wirtshaus immer wieder in finstere Höhlen, stürmische Küsten und einsame Kneipen verwandeln. Je länger die abendliche Gäste die Fabelwesen spielen, desto weniger gelingt es Ihnen wieder in die Realität zurückzufinden.

Als schließlich das Wirtshaus zurückfährt und im Nebel verschwindet, sind die Ängste übermächtig geworden. Kein Weg führt mehr aus dem Wald, unabhängig von etwaigen Räubern, die übrigens kein einziges Mal in Erscheinung treten.

Eine Angstexpertise und einen Blick in die deutsche Seele haben Walburg und sein Team versprochen und diese selbstgesetze Vorgabe nur teilweise eingelöst. Dass Angst gefährlicher sein kann als Ihr Objekt wird auf unheimliche Art und Weise erkennbar, was genau das speziell Deutsche an dieser Angst ist leider nur in Ansätzen. So bleiben noch Fragen offen, als sich der Mond im Morgengrauen über den Spessart senkt."

Alexander Kohlmann: Eine Höhle der Angst. In: Deutschlandfunk Kultur, 7. September 2013.

 

 

 

Medien / Publikationen

 

Literatur

  • "Hauffs Märchen". Mit Illustrationen von Ruth Koser-Michaëls. Knaur, 2016.

 

 

 

Empfohlene Zitierweise

 
"Das Wirtshaus im Spessart (Süßmilch)". In: Musicallexikon. Populäres Musiktheater im deutschsprachigen Raum 1945 bis heute. Herausgegeben von Wolfgang Jansen und Klaus Baberg in Verbindung mit dem Zentrum für Populäre Kultur und Musik der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. www.musicallexikon.eu

Letzte inhaltliche Änderung: 1. April 2024.